Mein Freund Kim Jong-un

Über den nordkoreanischen Regierungschef Kim Jong-un ist außerhalb der Grenzen seines Landes nicht allzu viel bekannt. Nicht einmal sein genaues Alter ist bestätigt. Eines ist jedoch klar: Das, was wir erfahren, ist oft nur Propaganda, die gewollt nach außen dringt. Wer ist dieser Mann, und wie wirkt sich seine Herrschaft auf die Menschen aus?
Die Comic-Zeichnerin und Autorin Keum Suk Gendry-Kim lebt auf der Insel Ganghwa, die in Sichtweite der nordkoreanischen Grenze liegt. Sie bekommt die Konflikte zwischen Süd- und Nordkorea jeden Tag hautnah mit. Auch die Propaganda-Versuche von beiden Seiten haben ihre Kindheit geprägt. Im Zuge dieses Comics versucht sie, das Mysterium um Nordkorea und dessen Diktator aufzudecken.

Ein Sachcomic der etwas anderen Art

Für Gendry-Kim ist dieser Comic nicht einfach eine nüchterne Aufbereitung eines Themas. Es betrifft sie persönlich. Sie ist mit den Konflikten, die seit vielen Jahrzehnten andauern, aufgewachsen und kann daher nicht nur eine sachliche, sondern auch eine zutiefst persönliche Perspektive zeigen. Sie spricht über Erfahrungen aus ihrer Kindheit und darüber, wie sehr sich die beiden verfeindeten Lager gegenseitig beeinflusst und indoktriniert haben. Für mich als Außenstehenden war das absolut interessant und bot einen völlig neuen Blickwinkel.
Dazu kommt, dass die Autorin haufenweise Menschen für diesen Comic interviewt hat, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie schreibt deren Sichtweisen nieder – seien es Menschen, die jahrelang in Nordkorea gelebt haben, oder Südkoreaner in Führungspositionen.

Der Weg ist das Ziel

Über den ganzen Comic hinweg begleiten wir Gendry-Kim und blicken ihr sozusagen über die Schulter. Wir erfahren nicht nur, was sie bei ihrer Recherche und den Interviews herausgefunden hat, sondern begleiten sie aktiv dabei. Wenn Gendry-Kim erzählt, dass sie eine bestimmte Person trifft, dann dokumentiert sie den kompletten Weg dahin in diesem Werk. Von der Anreise bis zum Interview wird alles festgehalten. Das bringt eine gewisse persönliche und emotionale Basis in den Comic, ohne dass der Inhalt an Glaubhaftigkeit oder Tiefe verliert. Der Comic bleibt kritisch und objektiv – ein Balanceakt, der bei einer so persönlichen Geschichte immer schwierig ist, hier aber gelingt. Ganz nebenbei ist der Band nicht zu trocken und schafft es, durchgehend unterhaltsam zu sein.

Die optische Gestaltung

Gendry-Kim setzt auf einen recht einfachen Stil und beschränkt sich auf das Wesentliche. Auf Hintergründe wird oft verzichtet, der Fokus liegt auf den Menschen. Die Künstlerin zeigt sehr oft Dialoge von zwei Personen, die sich unterhalten. Immer wieder gibt es dann Bilder, die metaphorisch auf den Inhalt eingehen oder das Besprochene visualisieren. Die Zeichnungen sind meist detailliert, behalten aber eine gewisse Eigenheit und Unkomplexität bei.
Ausnahmen bilden Bilder, die besonders hervorstechen und deutlich detaillierter gezeichnet sind. Eine Kolorierung gibt es kaum, und wenn, dann ist sie eher eintönig in einer Farbe gehalten, um Akzente zu setzen. Das alles passt sehr gut zur Handlung und unterstreicht die Reportage-Atmosphäre perfekt.

Mein Fazit

Für mich als politisch und am Weltgeschehen interessierten Menschen war dieser Comic extrem spannend. Da über Kim Jong-un so wenig bekannt ist, hat es mich sehr interessiert, zu erfahren, was auf beiden Seiten von Korea wirklich stattfindet und wie sich der Konflikt auf die Bevölkerung auswirkt.
Die Aufarbeitung von Gendry-Kim finde ich sehr gelungen. Die Bilder untermalen das Ganze optisch hervorragend und zeigen, wie sehr sich ein Comic mit sachlichem Inhalt von einem trockenen Sachbuch abheben kann. Für alle Interessierten sollte jedoch klar sein: Dies ist keine zu 100 Prozent faktenbasierte wissenschaftliche Abhandlung. Es ist vielmehr ein Dialog mit vielen Menschen, bei dem eine Autorin im Mittelpunkt steht, die mit diesem Konflikt aufgewachsen ist.

Meine Bewertung:

10/10 kleine Propaganda-Flugblätter